Kompetenzen

Schutz und Pflege
von Stadtbild und Landschaft

Der gemeinnützige Verein pro grün Bielefeld arbeitet kontinuierlich seit 1974. Anlass zur Gründung war der geplante Abriss der Ravensberger Spinnerei und einer großen Talbrücke durch den Naturpark Teutoburger Wald. Beides war überflüssig und schädlich für Stadtbild und Landschaft, es konnte verhindert werden, in langen Kämpfen und bis hin zum Oberverwaltungsgericht.

Seitdem arbeitet pro grün immer wieder an derartigen Fällen, wenn von Politik oder Verwaltung nicht sachgerecht abgewogen und nicht in Alternativen gedacht wird. Ohne pro grün sähe Bielefeld anders aus.

Ziele von pro grün

  • Erhaltung naturnaher Lebensräume im Verdichtungsraum Bielefeld
  • Initiativen zur Erhöhung der Lebens- und Erholungsqualität in Bielefeld
  • Rettung wertvoller Baumsubstanz in der Stadt Bielefeld
  • Aushandlung von Kompromissen bei Planungs- und Nutzungskonflikten
  • Beteiligung in Fachgremien (Naturschutz, Stadtgestaltung)
  • Beteiligung an gesetzlichen Anhörungen der Naturschutzverbände
  • Effektivierung des ehrenamtlichen Naturschutzes
 
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Des Bürgers Kür

Der Verein Pro Grün setzt sich mit viel Hartnäckigkeit für Bielefeld, seine Gebäude und Grünflächen ein. Und das seit mehr als 40 Jahren. Eine kleine Reise gefällig?

Wenn Bielefelder ihre Stadt verlassen, haben sie einiges zu ertragen: Bielefeld, diese Stadt gibt’s doch gar nicht! Doch? Na, dort gibt’s doch gar nichts, außer Beton-Fußgängerzone und Dr. Oetker? – Doch: Zwischen dem Nachkriegsasphalt blühen grüne Oasen und eine aktive Bürgerschaft! Lassen Sie uns zu einem kleinen Rundgang aufbrechen; ja, durch Bielefeld. Los geht’s.

Unser erster Halt ist die Ravensberger Spinnerei. Der schlossähnliche Gebäudekomplex liegt am Rande der Innenstadt in einem großzügigen Park. Die Bielefelder nennen die Spinnerei aus dem späten 19. Jahrhundert liebevoll „Raspi“ und nutzen den Ort zum Feiern, Diskutieren und Lernen. Wer wie wir heute vor dem Areal steht, vermag sich kaum vorzustellen, dass es 1974 abgerissen werden sollte. Die Stadt hatte das Gelände erworben und beschlossen, das historische Ensemble habe einer Straßenkreuzung zu weichen. Doch die Abrissbirnen konnten aufgehalten werden.

Der Protest formierte sich gleich nach Bekanntwerden der städtischen Pläne. Der ad hoc gegründete Förderkreis Raspi konnte schnell einen ersten Erfolg verzeichnen: durch hartnäckiges Antragstellen konnte die Initiative das Gebäude von der Abriss- auf die Denkmalschutzliste befördern – der Stadtrat musste neu verhandeln. Sein Kompromissvorschlag: die Gebäude sollten erhalten bleiben, die Straßen dennoch durch den Park führen. Doch das beschwichtigte die wütenden Bürger nicht. Sie richteten sich auf eine längere Auseinandersetzung ein und gründeten den Verein Pro Grün. Unter dessen Fahne begannen nun eine Reihe von Protestaktionen: Die Mitglieder pflanzten Bäume, mobilisierten zu Aufräumarbeiten und initiierten sogar ein Konzept für die Umnutzung des Ravensberger Parks. Diesem kontinuierlichen Einsatz hatten die Stadtoberen wenig entgegenzusetzen. Doch erst als ein Gutachten ergab, dass ein Straßenkreuz verkehrsplanerisch gar nicht nötig sei, gab der Stadtrat die ursprünglichen Pläne endgültig auf. 1980 dann wurde mit dem Umbau der Spinnerei begonnen: Die Raspi wurde zur Heimat für ein Bürger- und Bildungszentrum samt Volkshochschule, Historischem Museum, einer Disko und einem Programmkino. Als Krönung des zivilen Engagements erhielt das Fabrikschloss 1986 den Deutschen Preis für Denkmalschutz.

Nach diesem Sieg setzten sich die Schutzengel der Raspi nicht etwa zur Ruhe – als Verein Pro Grün wurden sie zu Beschützern von Stadtbild und Landschaft in ganz Bielefeld. Bis heute bestehen Vorstand und Geschäftsführung aus einer kleinen Gruppe Ehrenamtlicher; mittlerweile meist älter als 50 Jahre. Im Laufe der Zeit hat sich die pro-grüne Truppe zu „Profi-Bürgern“ entwickelt, wie sie sich selbst bezeichnen. Denn sie wollen sich als Einwohner einmischen; wenn nötig auch gegen die von ihnen gewählten Stadtabgeordneten. Der erste „Profi-Bürger“ war der Steuerberater und Rotarier Dietmar Stratenwerth. Der langjährige Vorsitzende steht bis heute für das Renommee von Pro Grün in der Stadt. Mittlerweile ist er 85 Jahre alt und hat sich aus den wilden Protesten zurückgezogen. Allein aufs Krawallmachen war Pro Grün aber nie gebürstet, erzählt ein weiteres Mitglied der ersten Stunde, der emeritierte Geografie-Professor Tilman Rhode-Jüchtern. Stattdessen gehe es seit 30 Jahren um eine Störung der „Durchwink-Mentalität“ in Landes- und Kommunalpolitik. Und um neue Lösungsansätze. Dabei sei die Gruppe stets entschlossen, sich nicht von grünen Parteien vereinnahmen zu lassen, auch wenn es thematische Überschneidungen gebe. Rhode-Jüchtern stellt klar: „Wir sind älter als die!“ Die Pro-Grün- Aktivisten verstehen sich als ungebundene Bürger, als Gemeinbürger.

Genug abgeschweift, nun wandeln wir weiter durch Bielefeld – auf zur nächsten grünen Insel! Wie in vielen im Mittelalter entstandenen Städten zog sich auch in Bielefeld einst ein Stadtwall um die Innenstadt. Davon war jedoch nach den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs und der radikalen Modernisierung der 1950er- und 1960er-Jahre nichts mehr übrig. Angeregt durch Joseph Beuys’ Aktion „7.000 Eichen/Stadtverwaldung“ hatte der damalige Leiter der Kunsthalle Bielefeld Ulrich Weisner Mitte der 1980er-Jahre die Idee, den Bielefelder Wall durch einen „grünen Stadtring“ wieder sichtbar zu machen. Der Verein Pro Grün ließ sich schnell begeistern und organisierte eine Spendenaktion für den Kauf der benötigten Bäume – seitdem ist die Bielefelder Innenstadt umgrünt. Aktuell geben die über 30 Jahre alten Bäume erneut Anlass zu Auseinandersetzungen: sie sind von undurchsichtigen Bauplanungen bedroht. „Mit den Grünflächen hantiert die Stadt gern, als ob sie frei verfügbar wären. Das wäre anders, wenn dort nicht 40 Bäume stehen würden, sondern 40 Villen!“, erregt sich Pro-Grün-Urgestein Rhode-Jüchtern.

Zum nächsten Ziel unseres Ausflugs: Grüne Spuren sind auch auf der Stapenhorststraße im Westen der Stadt zu besichtigen – hier stehen Bäume auf Verkehrsinseln. In den 1980er-Jahren war die Straße dicht befahren, laut und voller Abgase. Als dann zur Verbesserung des Verkehrsflusses die vierspurige in eine sechsspurige Straße ausgebaut werden sollte, stellte sich der damalige Professor Tilman Rhode-Jüchtern gemeinsam mit seinen Studierenden gegen die Stadtplaner. Mit Unterstützung von Pro Grün forderten sie, die vorhandenen vier Spuren anders zu verteilen: lediglich zwei Spuren für den Autoverkehr, die anderen beiden Bahnen fürs Fahrradfahren, Abbiegen sowie Ein- und Ausladen. Reduktion statt Expansion! Die Stadt machte mit und ließ sich auch auf eine sparsame Variante der Umsetzung ein, auf eine einfache „Pinsellösung“: neue Straßenmarkierungen. Erst später, nach dem Praxistest, wurde die Straße baulich verändert. Seitdem bewegt sich Bielefeld auf der Stapenhorststraße nach pro-grünen Ideen, und auch der Smog hat sich verzogen.

Von der Auto- nun zur Wasserstraße, der Lutter, einem derzeit noch unsichtbaren „blauen Band durch Bielefeld“. In früheren Zeiten floss der Bach überirdisch durch die Stadt, wurde dann aber nahezu vollständig verrohrt und in die Unterwelt verbannt. Der Verein Pro Lutter, ein ausgegliederter Verein von Pro Grün, begann 2001 für eine Freilegung zu kämpfen. Seitdem hat Pro Lutter Spenden gesammelt und Planungen vorgelegt: der erste von vier freizulegenden Lutter-Abschnitten konnte bereits geöffnet werden.

Zum Ende unserer Bielefeld-Reise besuchen wir den Ort, der Pro Grün hat wachsen und gedeihen lassen: einen Wintergarten in einem alten, großen Haus am Stadtrand. Hier diskutiert, plant und feiert der Verein seit Anbeginn. Regine Schürer, Geschäftsführerin von Pro Grün und Hausherrin, öffnet ihre Türen für den engsten Kreis wie für größere Empfänge. Einmal fragte ein geladener Lokal-Politiker seine Gastgeberin, was denn eigentlich das pro-grüne Problem sei – schließlich lebe sie bereits so schön. Doch dem Verein Pro Grün geht es nicht um die Ästhetik im gutbürgerlichen Wintergarten. Sein Blick richtet sich nach draußen: in eine lebenswerte Stadt.

Jana Holz
25. Juli 2013

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